Aus der Vita Pauli des hl. Hieronymus

paul4

Unter den Verfolgern Decius und Valerian vernichtete der schreckliche Sturm zahlreiche Kirchengemeinden in Ägypten und der unteren Thebais. In dieser Zeit lebte in der unteren Thebaïs Paulus, ein junger Mann von ungefähr 16 Jahren, er war vorzüglich gebildet in der griechischen ebenso wie in der ägyptischen Literatur, war sanftmütig und liebte Gott aus ganzem Herzen. Da seine Schwester schon mit einem Manne vermählt war, kam er nach dem Tode beider Eltern in den Besitz einer großen Erbschaft. Während nun der Sturm der Verfolgung tobte, lebte er ziemlich zurückgezogen in einem etwas abgelegenen Landhaus.

 

Doch wozu treibst du das Herz des Menschen nicht, du Hunger nach Gold? Der Mann seiner Schwester wollte allmählich den ins Licht der Öffentlichkeit bringen, den er hätte verbergen müssen. Sobald der kluge Jüngling dies merkte, floh er in die Einsamkeit der Berge, und während er das Ende der Verfolgung erwartete, machte er aus der Not eine Tugend: er ging nach und nach immer weiter und fand einen Felsenberg, an dessen Fuß eine winzige Höhle lag, die ein Stein verschloss.

Paulus wälzte ihn weg und bemerkte drinnen einen großen Hof, den eine alte Palme mit ihren breiten Ästen verbarg, während er nach oben o

ffen war. Hier entsprang eine überaus klare Quelle. Deshalb fand Paulus Gefallen an dieser Behausung, gleich als ob sie ihm von Gott angeboten würde, und verbrachte dort sein ganzes Leben im Gebet und in der Einsamkeit. Nahrung und Kleidung gewährte ihm die Palme.

Als der hl. Paulus schon 112 Jahre ein himmlisches Leben auf Erden führte und in einer anderen Einsiedelei der neunzigjährige Antonius lebte, kam diesem der Gedanke, dass außer ihm sich kein Mensch in die Wüste zurückgezogen habe. Da wurde ihm während der Nachtruhe geoffenbart, dass ein viel besserer als er weiter drinnen lebe; zu diesem solle er eilen, um ihn zu besuchen. Der ehrwürdige Greis begann, auf ein ihm unbekanntes Ziel zu zu gehen, da erblickte er plötzlich eine Wölfin, die nach Wasser lechzte. Als er ihr mit den Blicken folgte und an die Höhle herantrat, nachdem das Tier verschwunden war, begann er hineinzuschauen.

 

Paulus öffnete die Türe. Nach einer ehrfürchtigen Umarmung setzte er sich mit Antonius nieder und begann folgendermaßen zu sprechen: „Siehe, der, den du mit so großer Mühe gesucht hast, umhüllt mit seinen vom Alter morschen Gliedern ungepflegtes graues Haar! Wohlan, du siehst einen Menschen, der bald Staub sein wird. Erzähle mir, ich bitte dich, wie es mit der Menschheit steht! Wachsen in den alten Städten neue Häuser aus dem Boden? Wer regiert die Welt? Gibt es noch solche, die sich vom Trug der Dämonen täuschen lassen?“

Während dieser Gespräche erblickten sie einen fliegenden Raben, der ein ganzes Brot herabwarf. „Ja“, sprach Paulus, „der Herr hat uns unser Essen geschickt. Schon seit sechzig Jahren bekomme ich immer ein halbes Brot; aber bei deiner Ankunft hat Christus seinen Soldaten die Ration verdoppelt.“

Als es nun Nacht geworden war, sagte der hl. Paulus zu Antonius: „Einst wusste ich, mein Bruder, dass du in dieser Gegend lebtest. Einst hatte mir der Herr einen Mitknecht versprochen, aber weil schon die Zeit meines Heimgangs gekommen ist und weil ich immer gewünscht hatte, aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein, bleibt mir jetzt nach vollendetem Lauf die Krone der Gerechtigkeit; so bist du vom Herrn gesandt worden, damit du diesen armseligen Leib der Erde zurückgibst. Geh ans Werk, wenn es dir nicht zu beschwerlich ist! Bring den Mantel herbei, den dir der heilige Athanasius gegeben hat, um damit meinen Leib zu ver

hüllen!“

Antonius wagte nichts mehr zu erwidern, sondern ging zu seiner Einsiedelei zurück. Endlich erreichte er seine Behausung, nahm den Mantel aus der Kammer, ging hinaus und kehrte auf dem Weg, auf dem er gekommen war, zurück. Als der nächste Tag anbrach, sah er Paulus, umgeben von Scharen von Engeln, von Chören von Propheten und Aposteln, schneeweiß leuchtend in die Höhe steigen. Als Antonius die Höhle betrat, sah er den toten Leib, die Knie waren gebeugt, das Haupt aufrecht, die Hände nach oben ausgestreckt. Zunächst glaubte er, Paulus sei noch am Leben, und betete ebenfalls. Aber bald erkannte er, worum auch der Leichnam des Heiligen Gott, dem alles lebt, wegen der Hitze bat. Deshalb umhüllte Antonius die Leiche und trug sie hinaus. Nachdem er nach christlicher Überlieferung auch die Psalmen gesungen hatte, war er traurig, weil er keine Hacke besaß, um die Erde auszuheben. Da stürzten plötzlich zwei Löwen herbei und fingen an, ganz in der Nähe mit ihren Pfoten in der Erde zu scharren. Als sie verschwunden waren, errichtete er dem Brauche gemäß ein


Jeden, der dies liest, beschwöre ich, dass er sich des Sünders Hieronymus erinnert. Wenn diesem Gott die Wahl ließe, würde er viel lieber das Gewand des Paulus samt seinen Verdiensten wählen als die Purpurkleider der Könige samt ihren Reichen.en Grabhügel. Nachdem aber der nächste Tag angebrochen war, nahm er sich das Gewand des hl. Paulus, das dieser sich selbst aus den Blättern der Palme wie einen Korb geflochten hatte; an den hohen Feiertagen wie Ostern oder Pfingsten pflegte er von nun an stets das Gewand des Heiligen zu tragen.